Dienstag, 24. Mai 2016

In der Spiegelgasse 5 ....

Monika (links) und ich - ca 1959





Meine kleine Schwester Monika und ich
wir sind in der Spiegelgasse 5 aufgewachsen









zusammen mit jeder Menge Grossmüttern, und einigen Grossvätern.







Die Spiegelgasse 5, die mein Vater von seinem Vater und der vorher von seinem Vater geerbt hatte, war schon in den 50er und 60er Jahren nicht unbedingt das Nonplusultra an Luxus.
Es gab eine einzige Toilette auf jedem Stockwerk und ... kein Bad!

In den Nachkriegsjahren wurden die Zimmer (nur teilweise waren es richtige Wohnungen) sehr billig vermietet an Flüchtlinge und andere Personen die durch den Krieg obdachlos geworden waren - und sie alle blieben!



Meine Eltern waren die einzige "junge" Familie und wir beide die einzigen Kinder im Haus - und zuhause waren wir nicht nur in unserer Wohnung sondern von Parterre bis zum 3. Stock überall!


Einmal war da meine "echte" Grossmutter, Margarete, die Mutter meines Vaters, die zusammen mit ihrer unverheirateten Tochter Friedl Schlichtinger (meiner Tante) eine eigene Wohnung im 2. Stock - also auf der gleichen Etage mit uns bewohnte.
Die beiden hatten ein gemeinsames Wohnzimmer, und jede ein Schlafzimmer. Küche und Toilette waren auf dem Flur.
und auf der gleichen Etage wohnten auch wir - in immerhin 4 Zimmern mit eigener Küche - und dank meinem "echten" Opa (dem Vater meiner Mutter) der von Beruf Schreiner war, hatten wir sogar einen kleinen Balkon in den Hinterhof - und der grösste Luxus! - ein Badezimmer! (allerdings ohne Toilette, das wäre aufgrund der zu verlegenden Abflussrohre ZU aufwendig gewesen)
v.l.n.r.: Tante Friedl, meine Mutter, mein Opa, Marie, meine Oma (v. hinten)


Ein Stockwerk höher hatte unsere Marie, das Dienstmädchen meiner Oma (von der ich an anderer Stelle schon oft geschrieben habe) ein Zimmer. In diesem Zimmer gab es ausser ihrem Bett eine gemütliche Couch und immer wenn meine Eltern ausgehen mussten, dann haben wir bei Marie geschlafen, oft genug auch wenn meine Eltern zuhause waren.




Soviel zur biologischen Familie. Doch es war so toll, jede Menge weitere Grosseltern zu haben!

Leider habe ich gar keine Fotos, aber kürzlich habe ich mal fest in meinem Gedächtnis gekramt und möchte ihnen allen wenigstens ein kleines Gedenken schenken:

Ganz unten - in Parterre - (2 Zimmer und eine Küche) wohnte das Ehepaar Donhauser.
Beide waren gut über 70 - und da sie direkt neben der Haustür wohnten haben wir ihnen bei jedem Kommen einen kleinen Besuch abgestattet.
Sie waren gross und schlank und sehr still. Sie schienen sich immer zu freuen wenn wir kamen, denn sie hatten ihre Wohnungstür immer nur angelehnt - und hatten immer ein paar "Guties" für uns bereit!
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer von den beiden zuerst "gegangen" ist - aber sie begleiten mich durch meine Kindheit!
unser Kinderzimmer





Eine Treppe nach oben in den 1. Stock:

hier wohnte in 2 Zimmern - Frau Tipta. Auch sie weit in den Siebzigern, alleinstehend - eine typische Flüchtlingsfrau. Klein, immer mit Kopftuch - und diesem lustigem : Flichtlichsdialekt!
Sie haben wir besonders oft besucht - denn sie hat für uns immer eine ganz besondere Spezialität zubereitet: Leffelsterz!
Das Rezept weiss ich heute noch: Kartoffeln kochen - durchpressen - mit einem Löffel (oder Leffel wie Frau Tipta sagte) kleine Häufchen aus der Masse stechen - diese in schwimmenden Schweineschmalz ausbacken - und dann in einer Zucker-Mohn-Mischung wälzen!
Ich habe es später versucht - aber nie mehr hat ein Leffelsterz so gut geschmeckt wie bei Frau Tipta!


Unser Wohnzimmer - mit Vatis geliebter Hammond-Orgel
auf dem gleichen Stockwerk: Frau Todt!
Sie war -glaube ich- die älteste Hausbewohnerin, damals gut über 80! Wir, meine Schwester und ich, haben alle Hausbewohner mit Frau/Herr und dem Namen angesprochen - aber geduzt. Ihren Namen haben wir immer nur geflüstert - es war uns ziemlich unheimlich, dass jemand "tot" heissen kann!
Auch Frau Todt sprach das deutsch in welchem es weder Üs noch Ös noch Äs gibt!
Einmal musste mein Vater zu einer Veranstaltung während am Radio ein Fussballspiel lief und er hat Frau Todt gebeten sich das Spiel anzuhören und ihm dann zu sagen wie es ausgegangen ist.
Als er nach Hause kam wartete Frau Todt schon am Flur um ihm strahlend mitzuteilen:
"ausgegangen ist eins-zu-null-zu-eins! Aber weiss ich nicht fier wen!" :-)

Ebenfalls im ersten Stock lebte Frau Mühlberger.
Sie war die klassische "alte Jungfer"! Sie hat nie jemanden in ihre Wohnung gelassen, und es roch immer ein bisschen seltsam vor ihrer Tür. Wie wir später feststellten, war sie das was man heute einen Messie nennt. Ausserdem war sie bissig und unfreundlich - ABER sie hatte ein Klavier!
Frau Mühlberger - in ihrem "früheren" Leben Klavierlehrerin spielte oft - und zum niederknieen schön!
Wann immer sie im Klavier sass, wurde es sehr still im Haus, und viele Bewohner öffneten ihre Türen um besser hören zu können!
Frau Mühlberger hat immer so getan als würde sie das nicht bemerken - aber ich glaube sie wusste das sehr wohl - und es hat sie gefreut!

Unser Wohnzimmer

der zweite Stock
war wie gesagt
bewohnt von den
drei Generationen der Schlichtingers!











und ganz oben im 3. Stock wo Marie ihr Zimmer hatte
wohnte ein älteres Ehepaar: die Käsbergers!
Auch hier - besonders wenn wir "oben" bei Marie schliefen - wir gingen nie zu Bett ohne schnell mal an ihrer Tür zu klopfen und "Gute Nacht" zu rufen!

die "Musiktruhe"





Das Haus in der Spiegelgasse hatte riesige Flure auf jedem Stockwerk!
und diese Flure waren für meine Schwester und mich: Spielplatz, Garten, Theater, Ballsaal - alles in EINEM!






Und das Tollste:
Wir hatten immer Zuschauer!

Wir haben Stühle aufgestellt, und alle eingeladen teilzunehmen an den neuesten Aufführungen des Kasperltheaters, den neuesten Turnvorführungen (Opa hatte an der Decke eine Schaukel montiert - und wir hatten sogar eine richtige Turnmatte! Am Fasching gabs Kostüme und Tanz - und an Weihnachten das Krippenspiel!
Mutti hat immer für alle Zuschauer Kaffee und Kuchen gemacht - und so waren unsere Aufführungen gern besucht! :-)

In diesem Haus war niemals jemand allein!

1965 haben meine Eltern gebaut in der Margaretenau, und wir sind umgezogen.
Aber da meine Oma bis zu ihrem Tod (1972) in der Spiegelgasse wohnen blieb - habe ich nie den Kontakt verloren zu den "anderen Omas".

1980 bin ich in die Spiegelgasse zurückgezogen (in die ehemalige Wohnung meiner Eltern) - und selbst da haben Frau Todt und Frau Mühlberger noch gelebt - immer noch in den gleichen Zimmern!

Heute sind sie alle schon gegangen - aber in meiner Erinnerung leben sie weiter -
und ich hoffe, dass sie im Himmel genauso eine nette Hausgemeinschaft haben!